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Writer's pictureMatthias Mueller da Minusio

Was dirigiert ein Orchester?


Ah, Beethoven ohne Dirigentenstar. Ich habe Gleiches mit Schubert in Lugano gehört mit fantastisch-eingliederndem-bescheidenen Ilya Gringolts. (3. Februar 2022) mitspielend an der ersten Geige. Die Zeit der Pultstars ist endlich vorbei. Mit Karajan, Bernstein, Celibidache bis noch zu Ausläufern wie Abbado war die Ära Geschichte - Harnoncourt und die Authentischen aus Grossbritannien haben noch Neues zur Klassik beigefügt – was nun auch bereits Interpretationsgeschichte ist. Heinz Holliger als Beispiel mag interessant sein, weil er mit seinem kammermusikalisch spontanem Ansatz, seine ihn mittlerweilen vergötternden (sorry die Polemik) Orchestermusiker zu Einsatz verleitet. Früher haben sie rebelliert in Basel gegen den Oboisten avant la lettre, der einfach sich weigerte die Grundbegriffe des Dirigentenfaches sich anzueignen. Heute finden sie ihn genial und sehen nicht wie der überall präsente Altpensionär das Musikleben in seiner Entwicklung blockiert.


Der Star am Pult, dessen Geschichte mit Carl Maria von Weber begann, hat sich überlebt: Es haben es nur noch nicht alle Orchester begriffen und die Geldgeber und Verantwortlichen dahinter, die diesen selbsterklärten Auserwählten Unsummen Geld und Prestige hinterherwerfen. Klar, braucht die komplexe Oper einen die Fäden zusammenhaltenden Pol. Die Sinfonie, die alle aus dem FF kennen braucht das nicht mehr – das Orpheus Chamberorchester bewies es schon vor Jahrzehnten und nun eben auch das Freiburger Kammerorchester oder das ORI. Die Kammerorchester haben sich nicht nur in Zürich (ZKO, Camerata) auf den Pfad der dirigentenlosen Interpretation begeben.


Eine kurze persönliche Note sei mir hier erlaubt: Für die nach Harnoncourts Lehre gemachte Aufnahme von mir mit dem ZKO von KV 622 brauchte ich nur einen hervorragenden Konzertmeister wie Willy Zimmermann und ein Orchester, das Kammermusik machen wollte und konnte und dafür bereit war in quasi mitteltöniger Stimmung und Stilsicherheit das Meisterwerk des zarten Wunderkindes mit grosser Schaffenskraft mit Abellemento zu interpretieren.


Die in Orchestern spielenden Musiker:innen, die nach härtestem Wahlverfahren heute ausgewählt werden, sind heute um einiges besser als die sich um ihr Outfit und Popfotos ihrer Gesichter kümmernden händeschüttelnden Kapellmeister:innen. Managment und Agenturen im Hintergrund sind da auch gehörig am beraten. Ich kann mich erinnern, als in Luzern als Vorreiterin in der Schweiz plötzlich die schön hergerichteten Visagen, wie bei Wahlen in den Strassen prangten. In Zürich kennt nun jedes Kind, wie Zinman und Järvi (die offiziell erklärten Übermusiker, die zwar nie da sind, ausser sie sind im Rampenlicht der Tonhalle) aussehen. Dirigenten sind heute viel wichtiger als die Meisterkomponisten auf deren Buckel sie ihre gut bezahlte Show abziehen können. Das Orchestermarketing hilft da gehörig mit.


Zeitungen schreiben weiterhin dem alten Sachverhalt hinterher und behaupten unermüdlich vom Einfluss der Dirigenten, die ganze Interpretationen bestimmen sollen. Sorry, es ist einfach Unsinn und Schreibtischunkenntnis. Orchester können nur durch jahrzehntelange fundierte Arbeit in ihrer Interpretation und ihrem Klang beeinflusst werden – wie es besagter Harnoncourt mit der Oper Zürich tat. Die Berliner klingen bei ihm nach einigen wenigen Proben auf Aufnahmen wie die Berliner und nicht wie es dem minutiösen Schaffer von der Donaustadt vorschwebte.


Roger Norrington hat es mit dem ZKO vorgemacht. Dirigent:innen können zum klassischen Repertoire gar nichts essentiell Neues mehr beitragen – (Solist:innen auch nicht). Bescheiden zog er sich ins Orchester zurück und liess die klangerzeugenden Interpret:innen gestalten. Auch auf Ekstase setzende und vollen Einsatz fordende Neu-Gurus alla Currentzis oder Dudamel, können Beethoven etc. nicht neu erfinden. Das immergleiche Tonmaterial in heute wohl millionenfacher texttreuer Umsetzung lässt das einfach nicht mehr zu. Es bleibt abzuwarten ob Petrenko in Berlin mehr schafft als die Wiederholung von Erreichtem. Nach der Logik des Möglichen kann es ihm nicht gelingen. Eine mündlich geäusserte Interpretationsidee oder Absicht, was die Grundlage wäre, ist meines Wissens noch nicht nach aussen gelangt.


Auch die heutigen Exzentriker:innen der Jetset-Solistengilde bringen zwar nackte Haut, Pseudo-Hollywood-Glamour, groteskes Gezicke, Weltrekorde ohne Kunstsinn und Hintergrundsgeschichten z.B. ihrer Raubtierliebe auf die Bretter und in die brav reagierenden Medien und wickeln so das hörige Feuilleton billig um den Finger. Auch die einstigen Hüter der Musikkunst wie renommierte Festivals und CD-Firmen dürsten nach diesen Popsternchen, die hoffen mit Cervelat-Glamour das Publikum bei Stange zu halten. Meilenweit hinken sie hinter den Stars der Popidustrie und Filmkunst hinterher. Es ist ein trauriges Spiel dieser hoffnungslosen Anbiederung zusehen zu müssen – zuhören mag man schon gar nicht mehr. Mit der Interpretationskunst und künstlerischen Redlichkeit von Rubinstein, Du Près, Gilels, Zimerman, um nur einige zu nennen, hat das nichts mehr zu tun.


Und das neue Repertoire, bei dem man die Musikorganisatoren wirklich brauchen würde, darum foutieren sich diese in der Mehrheit erst recht und kennen sich erschreckend wenig bis gar nicht aus. Gerade in der Komposition gäbe es viel zu entdecken und nicht nur den wenig auserwählten Berühmtheiten (aus welchen Gründen auch immer) den roten Teppich auszurollen. Adornos Ästhetikwahn, zu Grunde gelegt in seiner Philosophie der neuen Musik während dem wütenden 2. Weltkrieg, weitergetragen von Darmstadt und Donaueschingen (übrigens anfänglich sogar von den USA unterstützt, wie es uns Ross übermittelt), wirkt da bis in alle Glieder weiter nach. Der bekennende Antifaschist merkte nicht, wie doktrinär er selber vorging. Seine grosse Wirkung, soweit er sie noch selber erlebte, hat ihn sicher gefreut. Nicht einmal der Tod des machtvertrauten Boulez (am Ende eng liiert mit Adorno) hat hier eine Entwicklung in Gang gebracht, resp. zur Geltung kommen lassen.


Ja, die Klassik ist endlich am Anfang eines Umbruches oder ihres endgültigen Niederganges. Aber wetten, dass die Hochburgen derart vor dem Einfluss der zur Arroganz hochgezüchteten Dirigentenstars erzittern werden? Zürich ist da immer schon der fleissigste Streber gewesen, oder soll man heute sagen Streberin?


Matthias Mueller da Minusio 15.5.2023



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