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Depression und Wahnsinn



29.11.24 Paul Sacher Saal in Basel: Klaus Huber (1924-2017) wird mit Cantiones de Circulo gyrante nach Texten von Hildegard von Bingen und Heinrich Böll  zu seinem 100. Geburtstag geehrt – 1.12.24 Oper Zürich. Alfred Schnittkes (1934-1998) Oper Das Leben mit einem Idioten nach einem Libretto von Viktor Jerofejew wird gewohnt erstklassig aufgeführt.


Ersteres wurde 1986 – zweiteres 1992 uraufgeführt. Zwei gewichtige Werke bedeutender Komponisten vom Ende des problembeladenen 20. Jahrhunderts. Gut 30 Jahre alte Stücke. Je aus welcher Warte betrachtet sind es alte Werke (dies ist meine Position) oder hochaktuelle Zeitgenossen. Für letzteres spricht, dass ich die Werke auch zum ersten mal im Programm sah und mir anhören konnte. Die Aufführung von Musik nach der einmaligen Uraufführung, dh. dem Eruieren, ob Werke bedeutend genug sind, um wieder aufgeführt zu werden, um zum Kanon des Repertoires zu gehören, wird meistens erst nach dem Tod der Schöpfer und erstaunlich verspätet vorgenommen. Gründe dafür gibt es viele, förderlich ist es sicher nicht, zuletzt für die Schöpfer.


So verschieden die Werke sind, so gab es doch Vergleichbares. Die Interpretationen waren beide hervorragend und gaben den Werken alle Ehre und die notwendige Topqualität, dass man die Kompositionen in ihrer vollen Gestalt erleben konnte. Hervorzuheben in Basel: Die Basler Madrigalisten unter Raphael Immoos, das Collegium Novum unter Zoi Tsokanou (gekonnt eingesprungen für den erkrankten Heinz Holliger), Christina Daletska, Aki Hashimoto, Robert Koller, Lucas Rössner und Aleksander Gabrys als Solist:innen. An der Oper Zürich: Jonathan Stockhammer, Kirill Serebrennikov, Bo Skovhus, Susanne Elmark, Matthew Newlin, Magnus Piontek, Birger Radde, Campbell Caspary. Die ganze Welt beehrt die Schweiz mit Meisterleistungen – wir sind es uns gewohnt.


Wenn die Interpretationen tadellos und nicht überbietbar sind, können sich die Werke nicht mehr verstecken. Gnadenlos sind sie uns kritischen Rezipienten ausgesetzt. Zuerst erwähne ich gerne Gemeinsamkeiten: Der Ausdruck und die Botschaft beider Werke ist zu tiefst niederschmetternd, da muss man nichts schönreden: Die Depression und Hoffnungslosigkeit in Basel – der nackte Wahnsinn in Zürich. Da kann ich nicht erfreut, den Saal verlassen. Die Ästhetiken beider Grossmeister will uns den Spiegel vorhalten, wie schrecklich unsere Welt ist (als wüssten wir das nicht schon lange). Bei Huber mischt sich pädagogisch-religiöser Eifer mit ein, die Menschen wie mich eh alleine lassen. Bei Schnittke werde ich als aufgeklärter auf Gender-Gerechtigkeit eingestellter Zeitgenosse eh arg in meinen Grundfesten aufgerüttelt. Dass in Russland psychisch Erkrankte als Idioten bezeichnet werden und mit ihnen wohl immer noch sträflich menschenunwürdig umgegangen wird, wissen wir seit Dostojewski, was es aber auch nicht besser macht. Geistig Abnormes oder Leidendes ist in Putins Russland schlicht wegzusperrendes Randständiges.


Beiden Komponisten ist die Sehnsucht nach tonal vertrauter Geborgenheit anzuhören. Huber verehrt den gregorianischen Choral, Schnittke liebte so oder so alle Stile und mischt sie mutig und gekonnt in einen grossen Suppentopf. Wenn man sich in der heute mit dilettierenden Komponist:innen aus  der elektronischen Provenienz übersättigten Szene bewegen muss, die schwerlich wissen, was ein übermässiger Quint-Sext-Akkord ist, kommen Huber und Schnittke äusserst wohltuend rüber: Sie beherrschen mit Brillanz die Satztechniken der Kompositionskunst.


Selbstverständlich sind die beiden grundverschieden: Huber ist der Schweizer Vertreter der Avantgarde schlechthin, der v.a. auch als Pädagoge Weltruhm erlangte und an den Grundfesten der musikgeschichtlichen Logik ihrer Zeit festhielt. Ich habe ihn als Student erlebt und mit ihm Werke von ihm spielen dürfen (Musikakademie Basel) – mein Eindruck hat sich bestätigt. Äusserst engagiertes Künstlertum gepaart mit missionarischem Eifer – was musikalisch wirklich typisch und eigenständig ist an Huber, weiss ich auch nach diesem Konzertbesuch nicht wirklich. Für mich bleibt es makellose Kompositionskunst, die mir ihr eigenständiges Gesicht nicht zeigt und bei mir emotional nichts anklingen lässt. Anderen wird es anders ergehen.

Schnittke wurde mir bekannt als postmoderner Polystilist, der Bernd Aloys Zimmermann und Luciano Berio nahestand. Bereits oben sickerte meine beschränkte Freude an der Collagetechnik, die Zitate zusammenfügt, durch. Kunst, die von der Zusammenfügung von Zitaten lebt, die klar erkennbar und nicht bewusst verfremdet sind, kann schwerlich Eigenständigkeit evozieren. Das wurde auch Strawinsky vorgehalten, der allerdings den Zitaten immer unverkennbar seinen Stempel aufdrückte. Die Oper und das zeigte Schnittkes Werk, ist geeignet polymorph zu unterhalten. Aber zur Grösse von Mozart oder Berg fehlt da doch einiges. (Er ist auch nicht der russische Ligeti, wie das der Regisseur Serebrennikov nationalistisch angefärbt behauptet). Vergleichbares kann man auch in der bildenden Kunst konstatieren und in der Postmoderne insbesondere in der Architektur. Die Collage kann schwerlich künstlerische Unverkennbarkeit erzeugen.

Es wurde gestern bestätigt: Ich weiss schlicht und einfach nicht, was die Tonsprache Schnittkes ist. Ein lange zelebrierter Tango, unverfroren unverfälscht dahingestellt, immer mehr penetrante Unisonos und dann wieder avantgardistisch Gezähmtes wird krass nebeneinander gestellt. Die Falle, die die Polystilistik in sich trägt, schnappt zu. Bemühend für mich auch, wie seine Aneinanderreihungstechnik kaum eine  dramaturgische Entwicklung  zu Stande bringt. Gegen Ende gibt es nicht den typischen Sog eines guten Werkes – ich hoffte immer wieder, es könnte doch nun zu Ende sein und dann wird noch einmal etwas angehängt – für mich einfach nicht zwingend. 


Das Libretto, ist für uns westliche Zeitgenossen schlicht ungeniessbar (soviel Gewalt, andauernder Sexismus, Niederträchtigkeit gegenüber Minderheiten und Krankheit), gäbe die Dramatik schon her. Schnittke nimmt sie nicht auf. Das Resultat: Noch selten sah ich ein Kunstwerk, das mit dem Beil auf unserer Zivilisation herumhaut. Welche Botschaft hat dieses Werk?  Vorausahnend aufzeigen, wie kaputt Russland sich 2024 darstellt? Der Librettist Jerofejew sagt im Programmheft: „Aber ich finde schon immer noch, dass es durchaus zum Lachen ist, wenn – wie in dieser Erzählung – das Absurde beginnt, die Welt zu beherrschen“. Ich hörte an diesem Abend in der Oper Zürich allerdings keine Lacher. Er sagt weiter, wie er durch die Diktatur von Lenin bis Putin gezeichnet ist. Ich kann da wirklich über das Absurde nicht lachen. 

Die Zürcher Auslegung von Serebrennikov evoziert schlicht mit Vehemenz Ekel. Dem Regisseur Serebrennikov geht es, wie er schreibt darum, „um die Natur der Gewalt. Um die Zerstörung von Beziehungen. Um den Wahnsinn“. 

Das ist bei seiner Biografie verständlich, nur was bewirkt das im Theater? Wird so unser Engagement für das Kriegsleiden vergrössert? Bewirkt nicht gerade die Realistik auf der Bühne Abscheu und Resignation? Die Reaktion der Politik ist doch eindeutig: Die Gelder der Unterstützung für Notleidende wird im gleichen Zug gekürzt, wie jene für die Kunst. Denn ein Makel wird die Realistik und Überzeichnung auf der Bühne nicht los: Sie zeigt keine Lösungen auf. Das kann die Kunst nicht, aber sie kann einen Schimmer Hoffnung durchblitzen lassen und engagierte Kräfte mobilisieren.


Abschliessend möchte ich den Dank an alle beteiligten Institutionen der beiden Kunstabende richten: Wir müssen die nahe Vergangenheit noch intensiver rezipieren können, dass wir uns dem Wichtigsten zuwenden können: Dem Bestreben unsere Gegenwart künstlerisch zu orten und der Suche nach der eigenständigen Ästhetiken, Farben und Töne unserer Zeit. 


Meine persönliche Position ist (und da unterscheide ich mich von meiner Vätergeneration Huber und Schnittke), die Kunst soll sich nun wieder der Darstellung des hoffnungsvoll Schönen zuwenden. Die Darstellung des abgrundtiefen Schreckens erhalten wir durch die Medien im Sekundentakt. Die Kunst kann und soll hier mehr und anderes. Es geht um die Frage: Realistik oder Idealismus. Nach einem Jahrhundert der Darstellung des Schreckens im Extrem, kann ein Zeitalter der Fantastik kommen, das nicht in reaktiver Naivität Schutz sucht, sondern differenziert die Kraft der Imagination in den Vordergrund stellt.


Matthias da Minusio 2.12.24

 
 
 

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